Abenteuer Nachtfahrt

Allein mit den Elementen vor den Ilhas Desertas.

Madeira - Lanzarote

10. Oktober, 20:30 Uhr

Die Lichter von Madeira verschwimmen zu Glühwürmchen auf den Hängen. Ansonsten ist es stockdunkel. Mit 9,4 Knoten rauschen wir hart am Wind durch den Atlantik. Mit Lage auf Backbord. 28 Knoten, in Böen über 30, drücken auf die Segel. In meiner Sicherheitsweste im Cockpit, stemme ich die Füße gegen den Tisch. Und den Kopf gegen das Bimini, das sich wie ein drittes Segel in meinem Nacken bläht.

Madeira liegt hinter uns.

Seit Tagen verfolgen wir das Wetter. Als Segler haben der Ex-Hurrikan Kirk, Sturm- und Orkanböen eine neue Bedeutung für uns. Es kam es uns sinnvoll vor, heute zu starten. Bevor die neuen Ausläufer Madeira erreichen könnten. In die Nacht hinein, warum nicht. Unsere ersten Nachtfahrten waren easy gewesen: die gefürchtete Biscaya zeigte sich Ende August richtig zahm. Der Ritt nach Madeira fiel schon etwas ruppiger aus - aber nur von der Welle her, die uns unangenehm von der Seite traf.

Gerade schiebt uns der Wind auf die Ilhas Desertas zu, einen vorgelagerten, unbewohnten Archipel. Der Autopilot steuert uns östlich um die Inseln herum, ins Lee.

eine Stunde später

Die Kinder versuchen schon, in ihren Kabinen zu schlafen. Daniel und ich halten uns mit Crackern wach und teilen uns einen Energy Drink. In der Dunkelheit leuchten hier und da Schaumkronen auf den Wellen, die größer sind als wir selbst. Manchmal schwappt eine über den Bug. Übers Heck. Unsere Flagge flattert, als wollte sie gleich davonfliegen. Der Wind heult wie in einem alten Gruselfilm.

Mit 10 Knoten fliegen wir an Chão vorbei, der ersten der drei Vulkaninseln. 3,5 Millionen Jahre alten Fels- Festungen. Als wir nicht damit rechnen, taucht der Mond hinter einer Wolke hervor und hängt am Himmel wie in einem Liegestuhl.

Weit und breit kein Schiff in Sicht - nur immer neu bewegtes Wasser.

11. Oktober, abends

In der Nacht war an Schlaf kaum zu denken. Aber langsam lässt der Wind spürbar nach. Bei friedlichen 15 Knoten pflügt sich die Asja wie ein Uhrwerk durchs Wasser. Nach einem Tag haben wir schon 175 Meilen zurück gelegt.

Nur haben wir noch immer zu viel Lage, um zu kochen. Ich wärme Tortillas in der Mikrowelle auf. Schon die Tür aufzuklappen erfordert Timing und Geschick. Jedesmal droht mir der Teller entgegen zu fliegen oder die Glas-Drehplatte darunter. Alles, was frei steht, schlittert.

Wir essen in Etappen auf der Steuerbordseite im Cockpit. Auf der Backbordseite muss man ständig den Teller festhalten, damit er dir nicht auf den Schoß rutscht. Mit Jalapeñosauce schmeckt das Omelett besser als erwartet. Pünktlich zum Dinner geht die Sonne in einem dramatischen Schauspiel am Himmel unter.

„Jetzt fehlt nur noch ein Wal“, sagt Stella.

„Vielleicht sind welche hier, aber zeigen sich nicht“, sage ich.

„Pottwale würden wir hören. Sie erreichen 230 Dezibel“, sagt Louisa. Das wäre lauter als ein Gewehrschuss oder ein Raketenstart. An der Grenze des Erträglichen für Taucher und Schnorchler im Wasser. Aber wie sieht es mit Seglern aus? Dringen die Klicks, mit denen die Wale sich unterhalten und jagen, durch die GFK-Wände unseres Schiffs?

Wir rechnen hier draußen eher mit Walen als mit einer anderen Crew. Seit Stunden ist kein Boot mehr auf unserem Radar und AIS aufgetaucht. Nicht im 2 Seemeilen Radius, nicht im 5, nicht einmal im 10-Meilen-Radius. Im Stunden-Rhythmus stellen Daniel und ich uns die Wecker für die Nachtwache.

Lichter in der Dunkelheit.

12. Oktober 2024, 2:30 Uhr

Das Knistern des Funkgeräts weckt mich in meinem Schlafsack an Deck.

„Motor Vessel Asja - what are your intentions?“, fragt eine Männerstimme.

Daniel ist wach. Er hat das andere Schiff in seiner Schicht schon als roten Punkt auf dem Radar geortet. Was fehlt, sind die AIS Daten, die uns den Schiffstyp, die Geschwindigkeit und den Punkt der größten Annäherung verraten. Der Riesen-Pott sendet keine. Was wir von ihm sehen, ist ein halbes Dutzend beleuchteter Etagen. Von den Ausmaßen her könnte es eine Fähre sein. Und vor einem Motorboot hätten wir als Segler Vorfahrt.

„This is sailing vessel Asja. We are sailing to Lanzarote.“

Unser Funk knackt schon wieder. Die Männerstimme sagt irgendwas, aber nur Wortfetzen kommen bei uns an. Dann wieder:

„Motor vessel Asja, what are your Intentions?“ Als hätte er uns nicht gehört oder nicht verstanden. Oder als wollte er uns nicht verstehen.

„This is sailing vessel Asja. We are sailing to Lanzarote.“

Unser Opponent ist zehnmal größer als wir. Seine Lichter - die einer kleinen Stadt - rücken weiter auf unsere Backbordseite vor. Wie unwahrscheinlich es ist, einem anderen Schiff auf dem offenen Meer so nahe zu kommen. Es fühlt sich an, als schaute ich mir einen Film im Kino an. Aber der Riesen-Kahn hält ungebremst auf uns zu und könnte uns jeden Moment überrollen.

“Weich aus”, sage ich.

Im selben Moment wirft Daniel den Motor an, greift ins Steuerrad und fährt das Manöver des letzten Augenblicks. Mit stehenden Segeln legt die Asja eine 180 Grad Drehung hin. Bei nur noch 11 Knoten Wind machen das Goß und die Fock klaglos mit. Das anonyme Riesenschiff rauscht an uns vorbei. Ein Gestank weht uns entgegen, als hätten sie als letzten Gruß die Fäkaltanks geöffnet.

In der Nacht ist ein fliegender Fisch an Bord gelandet. Als wir ihn finden, ist er leider schon ganz starr.

Später

Wir erreichen den Ankerplatz La Arrieta nach einem Tag und 16 Stunden.

Vor einer Mondlanschaft, durchzogen von weißen Häusern, lasse ich den Anker fallen. Das Wasser ist klar genug, um den Verlauf der Kette zu sehen. Kaum Swell. Das perfekte Lanzarote-Idyll.

Wir rufen zu Hause an. Gratulieren meiner Mutter zum Geburtstag. Waschen. Schrauben. Schreiben. Machen Hausaufgaben. Aber: Noch am Abend steckt uns die Begegnung in den Knochen. Wie schnell die Situation für uns bedrohlich geworden ist. Wir fragen uns, was wir in Zukunft verbessern können - verbindlicher kommunizieren und unseren Kurs durchgeben? Im Ernstfall noch früher ausweichen? An unserem AIS lag das Problem zum Glück nicht, das funktioniert einwandfrei. Fest steht allerdings, dass die Begegnung mit Menschen mitten auf dem Meer viel gefährlicher war als die Sturmböen.

Glasklares Wasser am Ankerplatz Playa de Arrieta.

Playa de Arrieta ⚓️

  • In einer Bucht mit einem beliebten Sandstrand und Restaurants (haben wir nicht getestet)

  • Einfaches Ankern auf Sand

  • Nicht überlaufen

  • Wundervoll klares Wasser lädt zum Schwimmen ein

  • Wir hatten zwei ruhige Nächte bei nordwestlichen Lagen

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Ein Manta für die Mole