Segeln in der Orca Alley
Camarinas - Ribeira
6. September, 12:40 Uhr
Wolken hängen tief über der Ankerbucht in Camarinas. Regen hämmert auf den rauchgrauen Atlantik und das Dach unserer Kuchenbude. 15 Grad Lufttemperatur Anfang September - so kalt haben wir uns Spanien nicht vorgestellt. In einer Regenjacke hole ich den Anker unseres Segelschiffs, Asja ein und hoffe, dass sie heil durch den Tag kommt. Wir sind im Revier der iberischen Schwertwale unterwegs.
In der „Orca Alley.“
Es ist paradox: Unter anderen Umständen, an einem anderen Ort würde ich die schwarz-weißen Riesendelfine unheimlich gerne sehen. Sie zählen zu den intelligentesten Tieren des Planeten. Leben in Gruppen, die sich stark in ihrem Jagd- und Sozialverhalten unterscheiden. Und entwickeln Verhaltensweisen, die man nicht verstehen muss, z.B. Lachse auf ihren Köpfen herumzutragen. Dieser Trend unter Orcas im Puget Sound hat sich nach kurzer Zeit wieder gegeben. Was leider noch nicht wieder aufgehört hat, ist, dass sie hier in Spanien und Portugal Schiffe rammen. Man nennt diese Gruppe die Gladis und sie besteht aus 15 Tieren aus der Subpopulation der Iberischen Orcas. Als es 2020 losging, hat Grupo de trabajo Orca Atlantica (GTOA) 52 Interaktionen verzeichnet. Inzwischen gab es mehr als 500. Etwa die Hälfte der betroffenen Boote trug Schäden davon, typischerweise am Ruder. Nicht wenige mussten abgeschleppt werden, vier sind gesunken. Der Alptraum jeder Segelcrew.
13:10 Uhr
In der Enseada de Carnota passieren wir ein Fischerboot. Seine Umrisse verschwimmen im Regen wie in einem impressionistischen Bild. Wegen der Untiefen segeln wir quer durch die Bucht, entgegen der Empfehlungen der GTOA und von Orcas PT. Die den Seglern raten, sich dicht an der Küste entlang zu hangeln. Aber das würde uns Stunden zusätzlich kosten.
Mir wird etwas mulmig. Seit Tagen fährt eine leichte Anspannung bei uns mit. Eine Wachsamkeit, die ich aus dem Alltag nicht kenne, der sich mehr oder weniger vorhersagbar in immer ähnlichen Bahnen bewegt hat. Hierin liegt ja auch der Sinn eines Sabbaticals oder einer Auszeit: Man tauscht das gewohnte Leben gegen neue Erfahrungen und schaut, was sie mit dir anstellen. Eine Orca-Begegnung in den Rías Baixas muss es dann aber doch nicht sein.
Die Kinder stören sich nicht an den Schwertwalen, sondern spielen im Salon Civilization. Daniel und ich haben die GT Orca App auf unseren Handys installiert, die ihre neuesten Begegnungen mit Yachten in einer Karte anzeigt. Ampeln brechen für die „Orca Alley“ das statistische Risiko in drei Kategorien runter. Im Juni und Juli ist die Gefahr vor Gibraltar am höchsten, weil die Orcas ihrer Leibspeise, Blauflossen-Thunfischen, dorthin folgen. Nach Ende der Saison ziehen sie wieder gen Norden - und kommen uns Anfang September sozusagen entgegen. Ein paar Tage lang stand die Ampel für die Rias Baixas auf rot. Heute Vormittag ist die Warnstufe auf gelb runter gesprungen. „Über Tage wurden dort keine Orcas gesichtet“, sagt der Meeresbiologe Alfredo López (GTOA) auf Nachfrage.
„Für Delfine ist es sehr üblich, dass sie sich Booten nähern und mit ihnen interagieren“, fährt er fort. Welcher Segler kennt das nicht? Für die meisten von uns sind die Treffen mit ihnen ein Highlight. Wenn Delfine plötzlich auftauchen, steigt die Stimmung an Bord der Asja. Vor einer Woche, nachts auf der Biscaya, haben sie uns durch ein Areal mit Bioluminiszenz begleitet. Im Dunkeln konnten wir ihre Silhouetten nur schemenhaft erkennen - aber mit jedem Sprung leuchtete der Ozean grün auf! Ein magisches Erlebnis.
Und Orcas sind auch nur große Delfine. Die schon immer den Booten und ihren Besatzungen nahe gekommen sind. Les Weatheritt beschreibt in seinem Buch “Your first Atlantic crossing” wie Schwertwale sein Schiff vor der senegalesischen Küste begleiten.
We saw the three creatures rising high in the water as humans might before taking a big breath of air. Then they almost stood on their heads, perhaps to dive deep.
Später, in Dakar, trifft er allerdings einen französischen Segler, der ihm erzählt:
A pod of Orcas was always there and always looking for trouble.
Das war 1994. Womöglich sind die Interaktionen also gar nicht so neu und die Gladis haben sie nur auf die Spitze getrieben. Noch weiß keiner, warum sie die Ruder der Segler rammen. Eine Theorie geht davon aus, dass sie Boote als Konkurrenz um ihre Beute wahrnehmen. Und die Schiffe außer Gefecht setzen, ganz egal, ob es sich um Fischer handelt oder um Freizeit-Crews.
Wissenschaftler wie Monika Wieland Shields (Orca Behavior Institute) tippen auf eine Art Spiel der Orcas. Wo das Surfen auf der Bugwelle den normalen Delfinen ausreicht, spielen sie Tauziehen mit den Booten: Auf der einen Seite die Crew, die am Steuer versucht, die Kontrolle zu behalten - auf der anderen Seite der Pod. Zu dieser Theorie passt, dass die meisten der Gladis jung sind. Jugendliche Tiere gehen, wie Menschen, höhere Risiken ein. Die (meisten) Älteren haben wohl verstanden, dass es auf Segelschiffen “nichts zu holen gibt.”
Die Beweggründe der Orcas zu verstehen, hilft hoffentlich bei der Suche nach einer Lösung. In der Zukunft. Aktuell fürchten die Kapitän*innen um ihre Schiffe und ihren Traum. Crews tauschen sich in Seglerkneipen und über Social Media über die neuesten Entwicklungen aus. Sie bewaffnen sich mit Heavy Metal und speziellen “Pingern”, um die Tiere akustisch auf Abstand zu halten. Haben wir auch probiert. Andere lagern Sand, Feuerwerk, vereinzelt sogar Schusswaffen - die Lage wird immer ungemütlicher.
Mich beruhigt, dass noch kein Mensch in der freien Natur durch einen Schwertwal sein Leben verloren hat. Was in einem sinkenden, kenternden Schiff aber immer passieren kann. In dem Fall wird die Situation in der Orca Alley durch die Decke gehen.
14:40 Uhr
Vor der Bucht Rio da Muros e Noia schaukelt ein kleines Segelboot in den Wellen. Warum bewegt es sich nicht? Ist es manövrierunfähig? Doch nicht etwa durch einen Ruderschaden? Und dieser schwarze Schatten am Heck - ist es ein Dinghi oder doch eine schwarze Finne?
“Es ist interessant, wie die Ampel die Wahrnehmung verändert”, sagt Daniel und holt unser Fernglas aus dem Salon. Entwarnung: Das andere Schiff fährt einfach langsam und biegt kurz darauf in die Bucht ab. Wir wollen noch ein Stück weiter, was nochmal eine halbe Stunde Fahrt durch freies Wasser bedeutet. Gerade mal 40 Meter tief, aber undurchsichtig wie Beton. Immer wieder frage ich mich, was sich unter uns verbirgt. Jedes Knacken, jeder unbekannte Geräusch ist verdächtig.
18:30 Uhr
Die Küste vor Ribeira mit ihren schmalen, gelben Sandstränden und bunt zusammengewürfelten Häusern ist zum Greifen nah. Noch immer staucht der Nebel die Wälder am Ufer zusammen, aber jetzt kann nichts mehr passieren. An Stelle von Orcas heißen uns hier die üblichen Delfine willkommen. Sie plantschen um uns herum, als Louisa den Anker runter lässt. Sie zeigen uns ein Dutzend Arten, wie man ins Wasser platschen kann. Und sind auch später immer mal wieder da, wenn wir im Salon aus dem Fenster schauen. Sobald ich ihnen zuschaue, fällt die Anspannung von mir ab. Ziel erreicht. Ohne Orcas zu treffen. Falls sie da waren, haben sie sich nicht gezeigt. Und die Schönheit der Rias Baixas mit ihren endlosen Anker-Möglichkeiten ist eine Klasse für sich.
⚓️ Enseada de Ribeira 42° 33.85' N, 8° 58.67' W
bezaubernde Delfine
Sandstrand
Guter Halt. Beim Hochziehen Algensalat am Anker.
Lidl Supermarkt 5 Min vom Strand entfernt, optimal für den Großeinkauf mit dem Dinghi
Swell und Rollen in der Nacht, es geht ruhiger